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„Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ Ronen Steinkes Appell für mehr Gerechtigkeit in der Justiz

Ronen Steinkes Appell für mehr Gerechtigkeit in der Justiz.

Immer mehr Freiheitsstrafen entstehen aus Armut, und das ist politisch gewollt – diesem bedrückenden Fazit aus seinem Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ stellte Ronen Steinke am Dienstag, 4. Oktober, bei seiner Lesung in der VHS einen Appell an die Gesetzgeber*innen entgegen.

Seit dem Jahr 2000 steigt die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen – Haftstrafen, die von Personen angetreten werden, die eigentlich zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, diese aber nicht zahlen.
Fast alle von ihnen sind verschuldet, 40% obdachlos, 2/3 leiden an einer Abhängigkeit. Die durchschnittliche Geldstrafe beläuft sich auf 590 Euro. Bei solch geringen Beträgen weiche die Justiz aufgrund von Ressourcenknappheit mittlerweile auf den Schriftverkehr aus, erläuterte Steinke. Anstelle eines Verfahrens vor Gericht, erhielten Angeklagte ein Schreiben, gegen das sie bis zu einem gesetzten Termin Einspruch erheben können. Für Personen mit geringen Deutschkenntnissen, Problemen beim Lesen, mentalen Erkrankungen oder Personen ohne festen Wohnsitz ende dies fast zwangsläufig in einer Verurteilung.  „Diese Leute sind nicht die Bösen unserer Gesellschaft.“, so Ronen Steinkes Überzeugung. Dennoch sorge die Gesetzeslage dafür, dass sie besonders hart bestraft werden.

Da sei z. B. die Person, die im Supermarkt Speiseeis klaue, um es für die Finanzierung des Drogenkonsums zu verkaufen – gewerbsmäßiger Raub nennt das Strafgesetzbuch das und setzt den Wert der Ware in Relation zum Einkommen des*der Dieb*in. Für Menschen ohne oder mit nur geringem Einkommen wird die Packung Speiseeis somit sehr wertvoll. Personen, die belegen, dass sie mit ihrem Einkommen keinen Diebstahl nötig haben, erwarte eine Einstellung des Verfahrens. So würden Menschen, die aus der Not heraus stehlen, automatisch härter bestraft. Der Paragraph der Verbrauchsmittelentwendung, der Milde bei Diebstahl aus Not vorsah, wurde 1975 aus dem Gesetz gestrichen.

Da sei außerdem die Person, die ihre Lebensgemeinschaft nicht im Hartz IV-Antrag erwähnt. Die dadurch nicht gestrichenen Leistungen gelten als gewerbsmäßiger Betrug. Der Strafe durch eine Selbstanzeige, Reue und Rückzahlungen zu entgehen, sei nicht vorgesehen. Anders bei Steuerbetrug, für den mildere Strafbestände geschaffen wurden. Die Prämisse laute nach Steinke: „Hartz IV-Betrüger*innen" nutzen die Gemeinschaft aus. Steuerbetrüger*innen haben ihr Geld selbst erwirtschaftet und möchten davon weniger abgeben. Dabei belaufe sich der jährliche Schaden durch Betrug bei Hartz IV-Leistungen auf etwa 57 Millionen Euro, und damit nur auf ein Tausendstel des jährlichen Schadens durch Steuerbetrug in Höhe von 50 Milliarden.

Angesichts der steigenden Zahl von Personen, die an oder unter der Armutsgrenze leben, sei ein Kipppunkt im Justizsystem erreicht, so Ronen Steinke. Das Ziel müsse sein, Ersatzfreiheitsstrafen zu verhindern und den benachteiligten Personen unserer Gesellschaft das Leben aufgrund von Zeitmangel und Sparzwang nicht zusätzlich schwieriger zu machen. Dafür fordert er mehr finanzielle Mittel für das Justizsystem und die Sozialarbeit, um ärmeren Menschen faire Verhandlungen zu ermöglichen und proaktiv zu verhindern, dass sie überhaupt Straftaten begehen.

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Andreas Gögel, Ronen Steinke und Frauke Sterwerf. Bild: VHS Oldenburg.
Ronen Steinke mit VHS-Geschäftsführer Andreas Gögel (li.) und Frauke Sterwerf (Teamleitung Marketing & Vertrieb, re.). Bild: VHS Oldenburg.
Ronen Steinke vor dem Publikum. Bild: VHS Oldenburg.
Bild: VHS Oldenburg.
19.04.24 21:22:58