Was bedeutet Freiheit?
Freiheit ist ein großer Begriff. In Deutschland liegt der Fokus aus der Geschichte heraus stark auf dem Schutz des Individuums und dem Recht auf Unversehrtheit, während in den USA „the pursuit of happiness“, also das individuelle Streben nach Glück im Vordergrund steht. Im Grunde ist es das Recht, dass jeder tun und lassen kann, was er will und dabei möglichst weitgehend ungestört sein möchte von irgendwelchen einschränkenden Strukturen und Regeln. Dazu gehört auch die Freiheit zu scheitern und mit den Folgen des Scheiterns alleine klarkommen zu müssen.
Was bedeutet der Begriff heute in einer komplexen Welt der globalen Zusammenhänge und Herausforderungen? Was bedeutet die Freiheit des Einzelnen, wenn der oder die Eine sich den Planeten mit 10 Mrd. anderen Menschen teilen muss und die Ressourcen begrenzt sind?
Kürzlich habe ich aus einem anderen Anlass über Freiheit nachgedacht: Wir hatten eine Schülerin aus Südafrika für einige Wochen zu Gast in unserer Familie. Sie erzählte uns von ihrem Leben in Port Elisabeth, wo es für sie als junges Mädchen im Prinzip nicht möglich ist, ihr Haus alleine zu verlassen, und ihr Leben hauptsächlich aus dem Aufenthalt in den mehr oder weniger geschützten Räumen Schule und Zuhause besteht. Die Gespräche mit ihr haben mich unsere Welt mit anderen Augen sehen und spüren lassen, wie privilegiert wir sind, dass wir und unsere Kinder sich bei uns selbstbestimmt und frei bewegen können.
Das Beispiel zeigt: Eine kaputte Gesellschaft kann keine Freiheit bieten. Freiheit ist ein Privileg, das ein funktionierendes Gemeinwesen und ein intaktes Lebensumfeld als Basis braucht. Auch wir sind heute mit großen gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert, die uns vieles abfordern und vielen Menschen Angst machen. Demografie, Migration, gesellschaftliche Verwerfungen im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung und nicht zuletzt der Klimawandel mit deutlich spürbaren Auswirkungen auch bei uns – das sind die Themen, die derzeit alle herausfordern und nicht zuletzt auch unsere Freiheit bedrohen.
Was bedeutet das für mich als Architekt und Stadtentwickler? Welchen Beitrag kann ich zu einer intakten Gesellschaft leisten? Was bedeutet das Wissen, dass ca. 40 % der CO2-Emissionen in Deutschland aus dem Bau und Betrieb von Gebäuden entstehen, für mein zukünftiges Handeln? Was bedeuten die großen Veränderungen runtergebrochen auf unser direktes Umfeld?
Ich erlebe derzeit, wie viele Menschen sich bewusst oder unbewusst gegen die Veränderungen stemmen und in bewährten Mustern verharren wollen. Die Umbrüche finden aber statt: Wir erleben den Fachkräftemangel, fühlen uns unsicher auf unseren Straßen, beklagen den Leerstand in den Innenstädten und sind in den letzten Monaten mehrfach von massiven Wetterereignissen wie Starkregen, Hochwasser oder Hitzewellen betroffen gewesen.
Wir können uns das nicht wegwünschen, sondern müssen uns den Aufgaben stellen. Für mich heißt das konkret, dass wir neue Leitbilder für unsere Städte definieren müssen, die uns Mut und Kraft geben, den Wandel zu gestalten. Wir müssen über neue Inhalte für unsere Innenstädte nachdenken, wenn der Handel in bewährter Form zurückgeht. Wir müssen unsere Städte ökologisch und sozial umgestalten. Das heißt, wir müssen mutig die Mobilitätswende vorantreiben, um Raum zurückzugewinnen für Grün- und Versickerungsflächen und unsere Innenstädte als Lebensort neu gestalten und stärker an den echten Bedürfnissen der Menschen ausrichten.
Die Debatte wird geprägt von Verlustangst. Wenn wir es konsequent und mutig denken, geht es aber nicht um Verlust, sondern um eine neue Perspektive für die Zukunft. Übertragen bedeutet das: wenn wir unsere Freiheit erhalten wollen, müssen wir uns dem Wandel stellen und uns verändern. Wir dürfen die Aufgaben unserer Zeit nicht aus einem oberflächlichen Freiheitsverständnis oder auch aus Trägheit ignorieren, weil das mit dem Verlust von Freiheit einhergehen wird. Wenn wir die Freiheit erhalten wollen, müssen wir unsere Gesellschaft sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig gestalten. Das kann gelingen, und es fängt aus meiner Sicht in unserer direkten Umgebung an.
Alexis Angelis ist Architekt, Projektentwickler und Unternehmer aus Oldenburg. Er studierte Architektur in Hannover, Barcelona und Madrid. Seit 2002 ist er Gesellschafter bei ANGELIS & PARTNER Architekten. Als Mitgründer mehrerer Unternehmen, darunter NEU_FUNDLAND Projekte und der HIIVE Hotels Group, treibt er innovative Projekte voran. Eines seiner bekanntesten Projekte ist die Innovationsplattform CORE, die für die Neunutzung von leerstehenden Kaufhäusern deutschlandweit Beachtung fand.