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Nach dem 1. Weltkrieg und der Novemberrevolution ging eine „Flutwelle der Volkshochschulbewegung“ durch ganz Deutschland¹. Sie waren Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels und einer reformpädagogischen Erneuerungsbewegung: Bildung sollte allen gesellschaftlichen Kreisen zugänglich gemacht werden. Mit Gründung der Weimarer Republik sei die Umbildung der Staatsform geschafft, aber die der Gesellschaft noch nicht, so die Einschätzung in den „Nachrichten aus Stadt und Land Oldenburg“ vom 4. April 1920.

Dabei konnte sich die Volkshochschulbewegung auf die Weimarer Verfassung berufen, in der es in Artikel 148, Abs. 4 hieß: „In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und bürgerliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben [...]. Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.“

Im damaligen Freistaat Oldenburg machen sich verschiedene Gruppen und Einrichtungen seit dem Frühjahr 1919 stark für die Verwirklichung des Volkshochschulgedankens. So ist in den Quellen v. a. der Name des Wangerooger Pastors Martin Siemens zu finden, der bei Versammlungen der Inneren Mission mehrere Vorträge gehalten hatte, in denen er die Volkshochschulen als „bewährtes Mittel der Volkserneuerung“ hervorhob². Siemens brachte Vertreter verschiedener Vereine zusammen, deren Aktivitäten zur Bildung eines „Ausschuß(es) für Volkshochschulen“ (September 1919) und zur Arbeit an einer Satzung führte (Fertigstellung Januar 1920). Schließlich folgte im April 1920 die Gründung des „Oldenburgischen Landesamtes für Volkshochschulen“, zu dessen Gründern u. a. Dr. Otto Müller gehörte, Direktor der damaligen Oberrealschule (heutiges Herbart-Gymnasium). Die meisten Veranstaltungen in der Gründungsphase fanden hier statt; Themen waren z. B. „Der soziale Roman“, „Welthandel und Weltverkehr“, „Einführungen in die bekanntesten Weltanschauungen“³.

Aus den Stellungnahmen und dem Engagement der Akteure der damaligen Zeit spricht eine Sehnsucht nach Wandel und Erneuerung, nach Lust auf Zukunft und Gestaltungswille. Es herrschte die Überzeugung, dass Bildung für alle Menschen unabhängig von gesellschaftlichem Stand, Parteizugehörigkeit der Schlüssel ist, um Wege für einen Neuaufbau zu finden.

In ihrem Selbstverständnis bewahren sich Volkshochschulen bis heute die Freiheit von staatlichen und parteilichen Einflüssen. Trotz der Instrumentalisierung während des Nationalsozialismus fand sie zu ihrer Ursprungsidee zurück: Volkshochschule ist ein Ort, an dem individuelle und gesellschaftliche Mündigkeit ermöglicht wird. Ein Ort, der Horizonte weitet, individuelle Kompetenzen fördert und eine Chance für mehr Dialog, Demokratie und Toleranz bietet.

In diesem Sinne steht auch unsere Volkshochschule für Bildung, die statt von sozialer Herkunft von Chancengerechtigkeit bestimmt wird. Im Mittelpunkt stehen gemeinsam gelebte Werte, die alltägliche Begegnungen prägen und im Lehren und Lernen Ausdruck finden. So unterschiedlich die Menschen mit ihren Biografien und Zukunftsperspektiven auch sein mögen – wir geben seit 100 Jahren Raum für ihre persönliche und berufliche Entwicklung.

¹Wolfgang Schulenberg-Institut für Bildungsforschung und Erwachsenenbildung 1997, S. 21 zitiert nach Oldenburger Landesamt für Volkshochschulen 1920/21, S. 1.

²Nachrichten für Stadt und Land 1919, Jg. 53, H. 95 (6.4.1919).

³Tätigkeitsbericht über das erste Geschäftsjahr 1920/21, Oldenburger Landesamt für Volkshochschulen, in: Akten des „Bezirksamtes für Volkshochschulen Oldenburg“, NLA OL, Dep 1, Best. 262-1 A Nr. 4746.

Quellen

Wolfgang Schulenberg-Institut für Bildungsforschung und Erwachsenenbildung (1997): Quellen zur Geschichte der Erwachsenenbildung.

Nachrichten für Stadt und Land Oldenburg (1919).

Akten des „Bezirksamtes für Volkshochschulen Oldenburg“, Niedersächsisches Landesarchiv, Dep 1, Best. 262-1 A Nr. 4746.

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